P. Richard Henkes und die Tschechen – Hoffnungen, die sich an eine Seligsprechung von P. Henkes knüpfen (von P. Manfred Probst)
Eine besondere Bedeutung könnte eine Seligsprechung von P. Richard Henkes erhalten durch seine verständnisvolle und ausgleichende Haltung gegenüber dem tschechischen Volk und Staat. Die NS-Politik von 1938 nennt Henkes in einem Brief vom 24.09.1938 an seine Eltern ein Verbrechen. Ähnliches berichtet in seiner Zeugenaussage der Neffe Günter Eidt. Onkel Richard sei zur Beerdigung seines Vaters am 15. März 1939 in Ruppach gewesen. Bei dem Beerdigungskaffee habe er dann auch über die allgemeine Lage erzählt; „er war für Tschechien eingestellt“... „Damals hat sich mein Onkel kritisch zur Politik des Dritten Reiches gegenüber Tschechien geäußert. Der Einmarsch in Tschechien hat meinen Onkel schon berührt, weil er ja in dieser Gegend gearbeitet hat.“ Bei einem früheren Gespräch mit dem Postulator hatte Günter Eidt noch eine weitere Einzelheit berichtet: „Am Tag der Beerdigung kam er (P. Henkes) mittags aus dem Pfarrhaus und berichtete, dass die Nazis die Tschechoslowakei besetzt hätten. Er machte deutlich, dass er das für Unrecht halte. Mein Onkel hatte eine Liebe zu den Tschechen“ (s. Zeugenaussagen des Neffen Günter Eidt im Seligsprechungsprozess).
Diese hatte er entwickelt, obwohl er einmal an der tschechoslowakischen Grenze einen Zwischenfall erlebt hatte und geschlagen worden war. Das bezeugt seine Nichte Agnes Biet in ihrer Zeugensaussage. Auf dieses Ereignis angesprochen antwortete sie: „Ja, er (mein Onkel) hat von diesen Schlägen erzählt. Ich erinnere mich, dass mein Vater ihm gesagt hat, dass er doch wegbleiben und nicht dorthin zurückgehen sollte, damit so etwas nicht wieder passiert. Onkel Richard hat gesagt, dass dort auch liebe Menschen wären, denen er gerne weiter helfen müsse. Er müsse daher dorthin zurückkehren. Diese Entscheidung war dann klar und es wurde dann auch nicht mehr darüber gesprochen. Mit seinem vertriebenen Vorgänger in der Pfarrei Strandorf, dem tschechischen Priester Dr. Josef Vrchovecký, nahm P. Henkes Kontakt über seine Haushälterin Paula Miketta auf, die er von ihm übernommen hatte. In seinen Briefen aus dem KZ Dachau lässt er ihm immer wieder Grüße ausrichten. In der Schule gab er einer Klasse eine Strafarbeit auf, weil sie einen Jungen, der ein tschechisches Wort gebraucht hatte, ausgelacht hatte.
Für P. Henkes Verhältnis zu den Tschechen sind zwei von Pfarrer Jan Larisch gefundene Zeuginnen besonders wichtig. Die Tschechin Viktorie Sládková bezeugt, dass P. Henkes als Seelsorger in Strandorf auch das Vertrauen der tschechisch stämmigen Bevölkerung besaß. Sie selber habe bei Schwierigkeiten in ihrem späteren Leben die Fürbitte von P. Henkes angerufen. Schließlich bezeugt Rosálie Zavadilová, dass P. Henkes bei ihrem Vater in Chuchelna angefangen habe, die tschechische Sprache zu lernen. P. Henkes war sich bewusst, dass er Tschechisch lernen musste, wenn er nach Ende des Krieges in diesem Gebiet weiter als Seelsorger arbeiten wollte. Und das war sein Ziel für die Nachkriegszeit. Dieselbe Zeugin hat darüber informiert, dass P. Henkes und ihr Vater in einer tschechischen Gruppe in Chuchelna mitgearbeitet haben, die sich die Unterstützung von Häftlingen im nahe gelegenen KZ Auschwitz mit Lebensmitteln zum Ziel gesetzt hatte.
Im KZ Dachau, wo P. Henkes am 10. Juli 1943 ankam, suchte und fand er Verbindung mit dem damaligen Regens und späteren Kardinal Beran von Prag, für den in der Erzdiözese Prag das bischöfliche Erhebungsverfahren läuft. P. Henkes hat ihn getroffen als Teilnehmer einer Einführungsgruppe in die schönstättische Geisteswelt, die sich aber noch 1943 auflöste. Die Kontakte zwischen P. Henkes und Regens Beran blieben bestehen. Mit Beran setzte P. Henkes das Erlernen der tschechischen Sprache fort, wie mehrere Häftlinge bezeugen. Daneben dürfte es noch weitere gemeinsame Interessensgebiete gegeben haben, etwa die pastoralen Aktionen des Generalvikars Nathan von Branitz, die Eucharistischen Familienwochen u.a.
Ein Problem der Aufklärung der Beziehungen zwischen P. Henkes und Regens Beran dürfte darin bestehen, dass wir wohl deutsche Zeugen für diesen Sachverhalt haben, nämlich den Archimandriten Johann Josef Peters und den Pallottiner Eduard Allebrod. Beide halten die Kontakte zwischen Beran und Henkes für sehr bedeutsam und widmen dem Thema in ihren schriftlichen Aussagen ausgiebigen Raum. P. Eduard Allebrod zeigt sich in seinen nicht gedruckten Schriften als großer Verehrer von Josef Beran und spricht sich für seinen Seligsprechungsprozess aus. Der damalige Pallottiner Josef Simon Fischer bezeugt, dass R. Henkes im KZ Dachau die tschechische Sprache gelernt hat, weil er später im Osten arbeiten wollte, nennt aber den Namen seines Sprachlehrers nicht. Aber das kann nach den Aussagen von E. Allebrod und Archimandrit Johann Josef Peters nur Josef Beran gewesen sein. Es gibt keinen Grund, an den Aussagen der deutschen Zeugen über Kontakte zwischen Beran und Henkes zu zweifeln. Versuche in den 80-er Jahren, dafür Zeugen in Tschechien zu finden sind im Pallottinerarchiv Limburg dokumentiert, blieben aber ergebnislos. Als Postulator habe ich Weihbischof Skarvada in Prag besucht und mit ihm ein längeres Gespräch geführt, zweimal hat mich der Erzbischof von Olomouc Jan Graubner empfangen. Ich habe mit den beiden Postulatoren von Josef Beran, Prof. Polc und Prof. Matejka telefonische und briefliche Kontakte aufgenommen und schließlich auch mit dem Prager Erzbischof und Kardinal Dominik Duka OP.
Umso dankbarer bin ich Herrn Bischof Frantisek Radkovský von Plzen und der Tschechischen Bischofskonferenz, dass sie dieses Thema im Jahre 2000 aufgegriffen und einen Seligsprechungsprozess von P. Henkes befürwortet haben. Pallottinerprovinzial Dr. Heinrich Schulte, der erst im Juli 1944 nach Dachau kam, bezeugt übrigens Kontakte zwischen Regens Beran und deutschen Pallottinern, ohne dies in Verbindung mit P. Henkes zu bringen (s. H. Schulte, Stille Größe: Pallottis Werk 20(4/1969) 50f.
Im Jahr 1944 arbeitete P. Henkes als Kantinenwirt auf Block 17. Er wollte nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes weiterhin für die Menschen im deutsch-tschechischen Grenzland arbeiten. Aus diesem Grund übernahm er in Baracke 17 den Dienst als Kantinenwirt, um mehr Zeit für das Erlernen der tschechi-schen Sprache zu haben.
Im Oktober/November 1944 muss es zu intensiven Kontakten zwischen P. Henkes und tschechischen KZ-Häftlingen gekommen sein. Die Zugangsbücher des KZ Dachau, in denen jeder ankommende lebende Häftling verzeichnet ist, benennen für den 10. Oktober 1944 über 2000 Zugänge aus dem KZ Auschwitz, davon 567 tschechische Juden (s. Zugangsbuch des KZ Dachau in Bad Arolsen) Kleinere Gruppen tschechischer Häftlinge (=45) kamen am 14. Oktober, am 21. Oktober (=44) und am 27. Oktober (=31) in Dachau an. Viele von diesen Häftlingen kamen nach der Aufnahme in den Zugangsblock 15, wo P. Henkes die Aufgabe eines Kantineneinkäufers wahrnahm. P. Henkes hat in dieser Zeit seinen beiden Mithäftlingen auf Block 26 Johann J. Peters und Eduard Allebrod so viel von diesen tschechischen Häftlingen erzählt, dass sie zu der Meinung kamen, Block 17 sei ein Tschechenblock. Dieses Missverständnis haben sie nach Ende der Nazi-Herrschaft in ihren schriftlichen Stellungnahmen weiter gegeben. Erst eine Korrespondenz mit dem ehemaligen tschechischen Dachauhäftling Dr. Stanislav Zámečnik aus Prag, der das Buch „Das war Dachau“ geschrieben hat, führte zu der Erkenntnis, dass diese Bezeichnung ein Irrtum war.
Es sei ausdrücklich dankbar festgehalten, dass eine der ersten Initiativen, P. Henkes in der damaligen Tschechoslowakei bekannt zu machen, aus Olomouc kam. Eines Tages erhielt ich einen Brief von dem Ehepaar Miroslav Tělupil. Diese hatten im Hultschiner Ländchen Ferien gemacht und dabei einiges über P. Henkes erfahren. Über Freunde in Plzen erhielten sie meine Adresse. In seinem Brief bot er an, das Büchlein von Georg Reitor: „Glaubenszeuge im KZ. Pater Richard Henkes Martyrer der Nächstenliebe“ von 1988 zu übersetzen und drucken zu lassen. Das Angebot wurde angenommen und 1991wurde es in Olomouc in tschechischer Übersetzung gedruckt. Diese hoffnungsvolle Zusam-menarbeit über die Grenzen hinweg kam zum Erliegen durch den frühen Tod von Miroslav Tělupil. Gut zehn Jahre später hat er in Pfarrer Jan Larisch von Ostrava-Svinov einen eifrigen Nachfolger gefunden. Er hat 2006 die Broschüre von Alexander Holzbach SAC über P. Henkes übersetzen und drucken lassen sowie die DVD „P. Richard Henkes“, die P. Engelbert Tauscher SAC erstellt hatte, in tschechischer Sprache synchronisiert. Außerdem hat er eine Aus-stellung über P. Henkes organisiert und in jedem Dekanat der Diözese Ostrava-Opava einen Vortrag über P. Henkes gehalten, um ihn in der Diözese bekannt zu machen.
Die Tschechische Bischofskonferenz hat sich auf ihrer Sitzung vom 3.-4. Oktober 2000 einstimmig für die Eröffnung des Seligsprechungsprozesses von P. Richard Henkes ausgesprochen. Sie bietet den Pallottinern dafür jede er-wünschte Hilfe an. Diesen Entschluss haben die tschechischen Bischöfe in einem Brief vom 6. Dezember 2000 (Nr. Exp.: 886/2000) dem Provinzial der Pallottiner in Limburg und zur Kenntnisnahme dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz mitgeteilt. Unter Hinweis auf seine Freundschaft mit Regens Beran heißt es darin: "Die Erhöhung von P. Henkes zur Ehre der Altäre kann also auch beim tschechischen Volk zur Besserung des Bildes der Deutschen im Zweiten Weltkrieg und in folge dessen auch zur Versöhnung der beiden Nationen beitragen. Er kann also Schutzpatron dieser Versöhnung werden". Hier dürfte der entscheidende Punkt für eine Seligsprechung liegen, da ein Patronat der Versöhnung zwischen Völkern wohl nur mit dem offiziellen Siegel einer Seligsprechung durch die katholische Kirche zu erreichen ist.
In verstärktem Maße haben dies auch die Eröffnungsfeierlichkeiten des Seligsprechungsprozesses in Limburg gezeigt. Neben vielen Deutschen aus Ruppach und dem gesamten Westerwald nahm eine Gruppe von 46 Personen aus Strahovice und Umgebung teil. Ein erster, kleiner Schritt der deutsch-tschechischen Versöhnung wurde durch die Einladung und Aufnahme der tschechischen Gäste durch die Menschen in Ruppach verwirklicht. Gerade an diesem Schritt zeigte der SWR besonderes Interesse und berichtete darüber am 27. Mai 2003 zu bester Sendezeit in einer achtminütigen Sendung. Die lokale Presse in Limburg, Koblenz, die Kirchenzeitungen der Bistümer Limburg und Trier sowie die Pallottinerzeitschrift „Pallottis Werk“ haben ausführlich über die Eröffnungs- und Abschlussfeierlichkeiten berichtet. Andere, auch größere Zeitungen haben eine Meldung über die Eröffnung und den Abschluss des Prozesses gebracht. Aus den kleinen Anfängen freundschaftlicher Verbindung zwischen dem Geburtsort Ruppach-Goldhausen und dem letzten Wirkungsort Strandorf wurde nach zwei gegenseitigen Besuchen im Jahre 2010 ein Freundschaftsabkommen zwischen den beiden Kirchen- sowie den Zivilgemeinden abgeschlossen.
Bei diesem Prozess haben neben den Pfarrern die jeweiligen Bürgermeister Gerold Sprenger und Elen Malchárková eine bedeutende Rolle gespielt. Versöhnung und Freundschaft auf der unteren Ebene sind gewachsen. Nach einer Seligsprechung darf man auch sehr positive Wirkungen auf höheren Ebenen erwarten. Die bisherige Entwicklung zeigt, dass der Gedanke, P. Richard Henkes und Kardinal Beran könnten zu Brückenbauern der Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen werden, keine Utopie mehr ist, sondern ein Traum, der sich verwirklichen lässt.