Chronik
Richard Henkes wurde am 26. Mai 1900 in dem Dorf Ruppach nahe bei Montabaur geboren. Die Familie hatte acht Kinder, die früh im Haushalt und im Feld mitarbeiten mussten. Weil der Vater als gelernter Steinmetz häufig auswärts arbeitete, fiel die religiöse Erziehung der Kinder weitgehend der Mutter zu. Diese nahm die Aufgabe ernst. So segnete sie jeden Abend alle Kinder mit Weihwasser. Richard besuchte die Volksschule in Ruppach sieben Jahre lang. Lehrer Hans stellte ihm ein gutes Zeugnis aus. Kirchlich gehörte Ruppach damals zur Pfarrei Meudt. Pallottinerpatres aus dem nahegelegenen Limburg hielten sonntags die hl. Messe in Ruppach. Unter den Patres waren auch Missionare aus Kamerun, die gerne aus der Mission erzählten. Richard fing Feuer und wollte auch Missionar werden. Die Verhandlungen mit den Pallottinern über den Pensionspreis führten zu einem guten Kompromiss: Die Familie zahlte in Naturalien.
Richard trat 1912 in das Studienheim der Pallottiner in Vallendar ein. Er hatte viel Heimweh, hielt aber durch. Vielleicht halfen ihm dabei Freunde, die er im Studienheim gewann. In der Kriegszeit war dies vor allen Dingen Karl Kubisch, der aus Oberschlesien stammte. Richard nahm ihn in den Ferien oft mit nach Hause Sie arbeiteten zusammen in der von P. Josef Kentenich inspirierten Marianischen Kongregation im Studienheim wie auch als Soldaten-Sodalen bei Militär. Bevor Richard 1918 zum Kriegsdienst nach Griesheim und Darmstadt einberufen wurde, legte er am Gymnasium in Montabaur das Einjährigen Examen ab; damit konnte man Offizier werden. Ein gewisser Ehrgeiz und Weltoffenheit waren also da.
Ende 1918 konnte er nach Vallendar zurückkehren, machte 1919 das Abitur und trat danach bei den Pallottinern in Limburg ein. 1921 legte er die erste Profeß ab und wurde 1925 in Limburg zum Priester geweiht.
Nach Abschluss des Studiums 1926 wurde er ein begeisternder Lehrer im Studienheim Schönstatt. Knapp ein Jahr nach Beginn der Lehrtätigkeit stellten sich bei P. Henkes Zeichen der Erschöpfung ein. Zur Erholung und Abklärung schickte ihn der Rektor in das Maria-Hilf-Krankenhaus in Ahrweiler, wo der ältere Pallottiner Max Kugelmann die Krankenhausseelsorge versah. Dieser berichtete seinem Provinzial folgendes: Der Gesundheitszustand von P. Henkes sei bedenklicher als angenommen. Aber der Patient halte sich nicht an die Vorschriften der Ärzte und Schwestern. „Der Pater schont sich viel zu wenig, mutet sich viel zu viel zu, geht oft zu lange spazieren, öfters noch bis zum späten Abend.“ Er habe P. Henkes deswegen Vorhaltungen gemacht, aber der höre nicht auf ihn. „So wenig ich einem Hund das Bellen verbieten kann, ebenso wenig kann ich dem P.H. Ruhe, Schonung und Einsamkeit gebieten.“
Ehe die Diagnose schwere Lungen-TB feststand, hatte der junge Pater die Behandlung auf die leichte Schulter genommen. Als die ganze Gefährdung offenkundig war, ging er ohne zu zögern zur Behandlung in die Höhenlage des Schwarzwaldes und unterwarf sich dort der strengen Behandlung mit viel Ruhe, wenig körperlichen Anstrengungen und gutem Essen.
P. Henkes lässt in seinen Briefen erkennen, dass ihm der Aufenthalt in den Sanatorien nicht leicht fiel. Zu den Erschwernissen gehörte auch die Überlegung seines Provinzials, ihn eventuell in die Mission nach Südafrika zu schicken, weil dort ein günstiges Klima für Lungenkranke sei. Der behandelnde Arzt riet jedoch von einer solchen Versetzung ab. Nach etwa einem Jahr wurde der leichtsinnige Patient von Ahrweiler, inzwischen gesundet, mit vielen neuen Lebenserfahrungen in die Pallottinerschule in Alpen am Niederrhein als Lehrer versetzt und bald darauf in sein geliebtes Studienheim Schönstatt.
Katscher eine Zubringerschule mit den drei unteren Klassen für die Schule in Frankenstein. Während die Pallottiner in Katscher ein erstes Schönstattkapellchen bauten, errichteten die Nationalsozialisten in Deutschland ihr „tausendjähriges Reich“. So wurde neben seinem Lehrerberuf für P. Richard Henkes die religiöse Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus seine zweite große Berufung. Dieser vertrat eine unchristliche Weltanschauung, bekämpfte die christlichen Kirchen, tötete behinderte Menschen und verfolgte vor allen Dingen in zunehmendem Maß die Juden und versuchte schließlich, sie in seinem ganzen Herrschaftsbereich brutal auszurotten. In dieser Zeit vertrat P. Henkes mutig und öffentlich die Werte des Christentums in der Schule, in zahlreichen Exerzitienkursen für die Jugend und in seinen Predigten auf vielen Kanzeln Schlesiens, Oberschlesiens und des Sudetengebietes. Bereits 1937 wurde er nach einer Predigt in seiner Heimat Ruppach nahe Montabaur bei der Gestapo angezeigt; wegen einer angeblichen Verunglimpfung des Führers in Katscher wurde 1937/38 gegen ihn ein Prozess am Sondergericht in Breslau durchgeführt. Er wurde aufgrund des Amnestiegesetzes nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ohne Urteil eingestellt. Die Oberen nahmen den gefährdeten Mitbruder 1938 ganz aus dem Schuldienst. Danach arbeitete er als Jugendseelsorger, Exerzitienmeister - vor allen Dingen in Branitz, wo er 1940/41 seinen Wohnsitz hatte - und als bekannter Prediger in Oberschlesien, zuletzt als Pfarrvertreter in Strandorf (1941-1943) im Hultschiner Ländchen. Durch diese Tätigkeiten und seine offene Sprache wurde er den staatlichen Machthabern immer mehr ein Dorn im Auge. Mehrfach wurde er von der Gestapo vorgeladen und verwarnt.
Immer enger wurde seine Zusammenarbeit mit Prälat Nathan in Branitz. Seit 1935 hielten Pallottiner aus Katscher jedes Jahr Exerzitien für die Naturstände in Branitz St. Josef; P. Henkes war dort für die jungen Frauen zuständig. Bekannt wurde P. Henkes auch durch seine Fastenpredigten, die damals sehr beliebt und in Oberschlesien gut besucht waren. 1937 wurde P. Henkes in die größere Schule nach Frankenstein versetzt, um seine großen Fähigkeiten als Lehrer besser zu nutzen.
Aber bald wurde P. Henkes von seinen Obern aus dem Schuldienst genommen, weil er in Gefahr war, wegen einer Beleidigung des „Führers“ von einem Sondergericht in Breslau verurteilt zu werden, und die Obern die Schule nicht gefährden wollten. P. Henkes intensivierte seine Zusammenarbeit mit Prälat Nathan und engagierte sich noch mehr in der Predigt- und Exerzitientätigkeit. Als P. Henkes gemustert wurde und trotz seiner früheren TB kv (= kriegsdienstverwendungsfähig) geschrieben wurde, übertrug ihm Prälat Nathan die Seelsorge in dem nahegelegenen Strandorf, so dass er nicht zum Militär eingezogen wurde. Dessen tschechischer Pfarrer war von den Nazis in das sogenannte Protektorat Böhmen und Mähren ausgewiesen worden.
P. Henkes entfaltete in Strandorf neben den üblichen Tätigkeiten eines Pfarrers wie taufen, zur Beichte und Erstkommunion führen, und beerdigen ein reiches pastorales Programm.
So besuchte er anlässlich der Colenda alle Häuser und Familien seiner Pfarrei, führte die Kinder mit viel Geschick in die Feier der hl. Messe ein, schrieb wie einst als Sodale in Schönstatt den Soldaten bei der Wehrmacht Briefe, um ihre Verbindung mit der Heimatgemeinde aufrecht zu erhalten, er kümmerte sich um Urlauber, er schrieb zu den Festtagen den jungen Frauen, die auswärts arbeitsverpflichtet worden waren, meist Postkarten, er beeinflusste die Mütter, ihre Töchter einen Beruf lernen zu lassen, er machte Ministrantenarbeit, er förderte das Spielen von Instrumenten, hielt den heranwachsenden Jugendlichen, aber auch den Erwachsenen Vorträge in der von ihm eingerichteten Schönstattkapelle, er machte Beileidsbesuche bei den Familien, wo der Mann oder ein Sohn im Krieg gefallen war.
In den zwei Jahren seiner Tätigkeit in Strandorf wuchs ein so enges Band zwischen Pfarrer und Gemeinde, dass diese nach seiner Verhaftung ihren Pfarrer laufend mit Lebensmittelpaketen im KZ Dachau versorgte, wobei seine Haushälterin und Wirtschafterin Paula Miketta wohl eine koordinierende Rolle wahrnahm.
Am 8. April 1943 wurde Richard Henkes schließlich wegen einer regimekritischen Predigt in Branitz von der Gestapo in Ratibor / Oberschlesien verhaftet und einige Wochen in Einzelhaft gehalten.
Dann wurde er wegen Missbrauchs der Kanzel in das KZ Dachau gebracht, wo er am 10. Juli 1943 eintraf. Dort musste er wie alle anderen unter menschenunwürdigen Bedingungen Zwangsarbeit leisten, zunächst auf der Plantage der SS. Später arbeitete er im Postkommando, wahrscheinlich auch im Transportkommando und schließlich ab dem zweiten Halbjahr 1944 als Kantinenwirt auf der Zugangsbaracke 17. Dabei blieb er im Glauben stark, teilte seine Lebensmittelpakete mit vielen anderen und ermutigte seine Mitgefangenen. Im KZ lernte er den späteren Prager Erzbischof und Kardinal Beran kennen und schätzen. Trotz einer geringen Sprachbegabung setzte er bei ihm seine tschechischen Sprachstudien fort, weil er nach dem Krieg als Seelsorger im Osten bleiben wollte. Begonnen hatte er damit schon in der Strandorfer Zeit bei einem tschechischen Frisör in Chuchelna. Als das Ende des Krieges absehbar wurde, brach im KZ Dachau die zweite große Typhusepidemie aus. Noch ehe am 11. Februar 1945 Freiwillige unter den deutschen Priestern für die Pflege gesucht wurden, hatte sich P. Richard Henkes im Wissen um die eigene tödliche Bedrohung bei den Typhuskranken von Block 17 einschließen lassen. Dieser war bis dahin seine Arbeitsstelle, während er weiterhin auf dem Priesterblock 26 seine Unterkunft hatte. Nach wenigen Wochen der Seelsorge und der Pflege infizierte er sich und innerhalb von fünf Tagen raffte ihn der Tod am 22. Februar 1945 dahin. Richard Henkes war seinem Meister Jesus Christus gefolgt, der gesagt hat: Es gibt keine größere Liebe als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde (vgl. Joh 15,13). Es konnte erreicht werden, dass sein Leichnam einzeln verbrannt und die Asche geborgen wurde. Sie wurde nach dem Ende des Krieges am 7. Juni 1945 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Pallottinerfriedhof in Limburg beigesetzt. 1990 wurde sie feierlich in die Bischofsgruft des Limburger Pallottinerfriedhofs übertragen.